Samstag, 13. Oktober 2007

REDEBEITRAG der Antirepressionsgruppe 1. April / Antifa-Antirepdemo, Kiel, 13.10.

Wir freuen uns sehr, dass ihr alle hier heute in der Kieler Innenstadt erschienen seid, um mit uns gegen staatliche Repression gegen linke Politik im allgemeinen und in Solidarität mit dem angeklagten Antifaschisten im speziellen zu demonstrieren. Wir möchten uns im Folgenden diesem konkreten Anlass der Demo, also dem Prozess am nächsten Freitag, 19. Oktober, bei dem unser Genosse der gefährlichen Körperverletzung an dem stadtbekannten Nazischläger D.R. beschuldigt wird und seiner Vorgeschichte widmen.
Zurück geht dieser Vorwurf auf eine Auseinandersetzung zwischen Neonazis und einer Gruppe Antifaschisten am 01. April 2006, bei der sich die Antifas weigerten, sich dem einschüchternden und offenen Auftreten der Neonazis zu beugen, sondern sich offensiv gegen diese verteidigten. Dass D.R. während der Auseinandersetzung ein Messer zückte und einen der Antifas schwer verletzte, unterstrich dabei die Gefährlichkeit einer Kombination aus Gewaltgeilheit und neonazistischer Menschenhassidelogie, die einen offensiven Umgang mit Nazis erst recht in dieser Situation zu einer Notwendigkeit machte.

Bereits wenige Wochen später, in den Morgenstunden des 11. Mai, verdeutlichten Polizei und Staatsanwaltschaft, dass sie mit Hilfe einer Anzeige und einer willkürlichen Identifizierung eines linken Aktivisten durch den Messerstecher R., die Auseinandersetzung vom 1. April zum willkommenen Anlass nehmen würden, Personen aus der linken Szene Kiels auszuschnüffeln. Mit der Begründung, vermeintliche Tatwerkzeuge sicherzustellen, durchsuchten sie die Wohnung des Angeklagten und parallel dazu einen Privat-PKW. Ermittlungsmaßnahmen, die nach einer unpolitischen Diskoschlägerei undenkbar wären.
In den folgenden Monaten kam es zudem zu mindestens drei weiteren, nach wie vor laufenden, Ermittlungsverfahren, von denen sich zwei ebenfalls auf die Zeugenaussagen der Nazischläger gegen tatsächliche und vermeintliche linke Aktivisten aus Kiel, stützen.

Was die Ermittlungen, die Hausdurchsuchung und schließlich die Anklage bezwecken sollen, liegt auf der Hand. Es geht Polizei und Staatsanwaltschaft natürlich nicht in erster Linie nur um die Aufklärung einer Straftat in ihrer bürgerlichen Auffassung, sondern um die Ausspionierung und Einschüchterung linker Aktivisten. Und wir können an dieser Stelle leider nicht erwidern, dass diese Taktik nicht aufgegangen wäre. Als die Repressionsschläge nach und nach auf uns, also die Betroffenen und ihren UnterstützerInnenkreis einprasselten, handelten wir auf einamal nicht mehr mit kühlem Kopf nach unseren politischen Überzeugungen. Auf einmal stand es nicht mehr außer Frage, mit der Justiz oder der Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten, also mit denjenigen, die uns erst die Scheiße eingebrockt haben und meinen, über uns richten und uns anklagen zu dürfen. Stattdessen legten wir uns Argumente zurecht, warum ausgerechnet unserer Fall eine besondere Situation sein sollte und es eine Chance darstellen könnte, der Gegenseite mit Aussagen auszuhelfen. Erst als die Planlosigkeit und Fahrlässigkeit unseres Vorgehens nicht mehr zu übersehenden Schaden anzurichten drohte und auch tat, taten wir das, was wir sonst so gern auf viele Flugblätter und Aufkleber schreiben: Wir wandten uns nach über einem halben Jahr des Vertuschens unserer Situation an GenossInnen und forderten Solidarität ein. Wenn mit diesem Schritt auch noch lange nicht alle Unsicherheit, mangelnde Bereitschaft zur politischen Auseinandersetzung und Öffnung der Szene gegenüber überwunden waren und immer noch nicht sind, möchten wir an dieser Stelle dennoch allen GenossInnen, die ähnliche Erfahrungen wie wir gemacht haben, machen oder machen werden, ans Herz legen: Nehmt die Parolen um Dinge wie Aussageverweigerung ernst und setzt Euch mit den Diskussionen auseinander, die hinter ihnen stehen. Und vorallem: Tut dies nicht allein im stillen Kämmerlein oder in einer heimlichen Runde mit dem Anwalt, sondern wendet Euch an Eure GenossInnen. Denn nur so können wir der durchaus richtigen Erkenntnis der Parole "Angeklagt ist einer, gemeint sind wir alle!", langfristig mit der Waffe der Solidarität entgegen.

Umso schöner ist zu sehen, dass wir heute trotzdem in Form dieser antifaschistischen Antirepressionsdemo gemeinsam und stark nach in die Öffentlichkeit tragen, dass es ein Skandal ist, dass wir in einem Staat leben, in dem messerstechende Neonazis nur auf ein Bild irgendeines linken Aktivisten zeigen müssen um einen Repressionsaparat in Gang zu setzen. Genauso wollen wir nochmal klar und deutlich sagen, dass wir es keinesfalls falsch und als zu bestrafend finden, wenn Menschen aktiv werden, um öffentlich auftretenden Neonazis ihren Raum zu nehmen und sie in ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit einzuschränken. Und dies egal wann und egal wo und ob aus einer passiven Verteidingungslage hinnaus oder in Form einer offensiven Aktion: Diejenigen, die sich aus rassistischen, antisemitischen oder nationalistischen Gründen heraus nehmen zu glauben, mehr Wert zu sein als andere und sich positiv auf die massenmörderische Ideologie und Praxis der Nationalsozialisten beziehen und diese, wenn sie könnten, wiederholen würden, haben nichts anderes verdient, als tagtäglich und überall wo sie auftauchen, Probleme zu kriegen.

In diesem Sinne wünschen wir uns für heute eine kraftvolle Demo und hoffen Euch alle am kommenden Freitag, 19.10. um 9 Uhr vor dem Amtsgericht Kiel auf der Kundgebung wiederzusehen und dannach ab 10 Uhr den angeklagten Genossen im Gerichtssaal durch Eure Anwesenheit beim Prozess zu unterstützen.

DENN DER KAMPF GEGEN (NEO)NAZIS IST NOTWENDIG!
SOLIDARITÄT MIT DEM ANGEKLAGTEN ANTIFASCHISTEN UND ALLEN ANDEREN VON REPRESSION BETROFFENEN LINKEN AKTIVISTiNNEN!