Prozess gegen Kieler Antifaschisten
Für diese, bei unpolitischen Körperverletzungsdelikten absolut unübliche Ermittlungsmaßnahme, unter dem Vorwand, vermeintliche Tatwerkzeuge sicher stellen zu wollen, genügten der Staatsanwaltschaft die Zeugenaussage und Anzeige durch den messerstechenden Neonazi. Er will den Antifaschisten als einen der Beteiligten vom 1. April wieder erkannt haben. Neben der Anklage gegen diesen Betroffenen kam es darüber hinaus in den vergangenen 1 1/2 Jahren zu Ermittlungsverfahren gegen mindestens zwei weitere Menschen unter dem gleichen Vorwurf. Auch hier ist in einem Fall die absolut willkürliche Identifizierung eines nach Neonazizeugenaussage dabei gewesenen Antifas Grund für die Ermittlungen.
Repression reloaded
Dieser Fall reiht sich ein in eine Repressionsflut gegen linke AktivistInnen, die derzeit durch die Bundesrepublik rauscht. Die bekanntesten Beispiele sind die derzeitigen Verfahren wegen der „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ nach §129a: Bereits vor dem G8-Gipfel kam es am 9.5. in Hamburg und Berlin zu Durchsuchungen von Wohnungen und Zentren und Ermittlungen gegen AktivistInnen, denen die Bundesanwaltschaft (BAW) die Beteiligung an verschiedenen Brandanschlägen vorwarf. Dass diese ein bloßer Vorwand waren, die Vorbereitungen der Aktivitäten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm zu behindern, durchschaute sogar die bürgerliche Presse.
Doch auch dies hinderte die BAW nicht, fast genau einen Monat später, am 13. und 19. Juni 07 wiederum Privatwohnungen linker AktivistInnen und Projekte in Hamburg, Berlin und Bad Oldesloe zu durchsuchen. Auch diesmal waren der Anlass einige teils Jahre zurückliegende, antimilitaristische Aktionen gegen Fahrzeuge der Bundeswehr und von Rüstungszulieferern. Dass das willkürliche Ausmaß der Ermittlungen jederzeit immer größere Formen annehmen kann, verdeutlichte eine Zeuginnenvorladung einer Kieler Aktivistin Ende Juli. Da die vorgeladene Genossin unter Berufung auf den §55 (persönliche Gefährdung durch Selbstbelastung) die Aussage verweigerte und klar ist, dass sie in dem Verfahren keine Aussage machen wird, drohen ihr, sollte er nicht anerkannt werden, Zwangsmittel bis zu einem halben Jahr Beugehaft.
Aber auch abseits dieser gleichsam prominenten wie schwerwiegenden Fälle von staatlichen Maßnahmen gegen linke Politik, kommt es auch im Alltag und im direkten Umfeld zu Schikanen gegen unliebsame Linke. So wurde im Vorfeld einer Antirepressionsdemo (!) in Eckernförde, die
sich gegen das Verbot eines Antifa-Festivals wandte, unter einem abenteuerlichen Vorwand der Wohnraum des Anmelders durchsucht. Diese Racheaktion der Eckernförder Polizei wegen einer Klage des Betroffenen gegen überzogene Demoauflagen, sollte den AktivistInnen wie auch in allen anderen erwähnten Fällen klar machen: Wer sich nicht an die staatlich vorgegebenen und polizeilich durchgesetzten Spielregeln hält, wer Kritik übt und sie gar in die Praxis umzusetzen versucht, der/die wird mit Durchsuchungen, Drohungen,
Überwachungsmaßnahmen oder sogar Strafen bis hin zur Haft überschüttet und zwar auf einer gesetzlichen Grundlage.
Was an Orten passiert, an denen eine solche Praxis alles andere als gängig ist, zeigt beispielhaft die rassistische Hetzjagd einer Koalition von Nazis und deutschen ProvinzbürgerInnen auf MigrantInnen am Rande eines Stadtfestes in der sächsischen Kleinstadt Mügeln. Den Opfern war es nicht möglich, die Angriffe erfolgreich abzuwehren und anstatt den MigrantInnen zu Hilfe zu eilen, sah die übergroße Mehrheit der FestbesucherInnen weg oder machte sogar gleich fröhlich mit. Der Mügelner Bürgermeister Deuse (FDP) legte nachträglich unfreiwillig offen, was das Problem hinter dem rassistischen Exzess ist, als er versuchte das Geschehene herunterzuspielen: „“Ausländer Raus!“ Parolen können jedem mal über die Lippen kommen!“. Wie beim drohenden Imageverlust durch mediale Aufmerksamkeit nach rassistischen Übergriffen üblich, war mensch auch nach Mügeln bis in höchste Regierungskreise z.B. in Person des Vize-Regierungssprechers Thomas Steg „außerordentlich betrübt“ und „bekümmert" und forderte, „dagegen vorzugehen“.
Die Quittung für diesen Ablauf, der eigentlich selbstverständlich sein sollte, aber in Deutschland leider die Ausnahme darstellt, haben nun die Betroffenen der Ermittlungsverfahren und vor allem der Angeklagte zu tragen. Denn eine Forderung nach Einschreiten, Nicht-Wegsehen, Zivilcourage und Kampf gegen Neonazigewalt bedeutet noch lange nicht die Erwünschtheit ihrer Umsetzung. Wenn PolitikerInnen oder sonstige RepräsentantInnen der deutschen Gesellschaft solche Forderungen aufstellen, bedeutet dies zu allererst die Sorge um regionale Wirtschaftsstandorte, wo ein „ausländerfeindliches Image“ InvestorInnen abschrecken könnte. Auch auf internationaler Ebene, macht sich öffentlich gewordene Neonazigewalt schlecht, wenn mit einer angeblichen Lehre aus der eigenen deutschen Nazivergangenheit Angriffskriege und eine politische Vormachtstellung Deutschlands gerechtfertigt werden sollen. Das Problem ist in ihrer Logik also nicht die Existenz von Rassismus und Neonazismus, sondern der Imageschaden, den die Nation oder die Stadt erleidet, wenn sie öffentlich wird.
Also wird totgeschwiegen, heruntergespielt und erst dann, wenn alles nicht mehr fruchtet, sich antifaschistisch gegeben. Ein Nazirichter Filbinger wird, um seine gesellschaftlich etablierte Funktion auch nach dem Nationalsozialismus nachträglich zu rechtfertigen, auf diesem Wege auch schon mal zum antifaschistischen Widerstandskämpfer umgelogen.
Damit die staatlichen Repressionsorgane hiermit nicht erfolgreich sind, wollen wir gerade dann, wenn Menschen mit staatlicher Gewalt zum Schweigen gebracht werden sollen, unüberhörbar verdeutlichen, dass hier eben so einiges nicht stimmt. Wir wollen aufzeigen, dass die bürgerlich-kapitalistische Bundesrepublik Deutschland eben nicht antifaschistisch ist, sondern ihr Gesetzbuch konsequenten Antifaschismus kriminalisiert. Wir wollen auf die Existenz von Neonazis und Rassismus in Deutschland, auf den heuchlerischen und unmenschlichen Umgang damit im bürgerlichen Kapitalismus und auf die Kriminalisierung derjenigen, die sich dagegen zur Wehr setzten, hinweisen.
Raus auf die Straße für konsequent antifaschistische Aktionen und gegen die Kriminalisierung linken Widerstands!
Sa., 13.10., 14 Uhr, Asmus-Bremer-Platz, Kiel: Antifaschistische-Antirepressions-Demo.
Fr., 19.10., Amtsgericht Kiel, 9 Uhr: Kundgebung. 10 Uhr: Prozess (Saal 6).
Fr., 05.10.,: Infoveranstaltung in Hamburg FÄLLT LEIDER AUS!
Mi., 10.10., 21 Uhr, Alte Meierei:
Solikonzert mit Esclaves Salaries, Pannkooken und La Casa Fantom
Do., 11.10., 19 Uhr: Infoveranstaltung in Kiel
Antifa-Café in der Alten Meierei
Den Aufruf unterzeichnen: AAZ (Kiel/Hamburg), Antifa Jugend Kiel (ajk), Antifaschistische Aktion Rendsburg, Antirepressionsgruppe 1. April, Autonome Antifa Eckernförde [AAE], Autonome Antifa Ostholstein [AAOH], Avanti-Projekt undogmatische Linke Kiel, Die BewohnerInnen der Alten Meierei, Bündnis Autonomer Antifas Nord [BAAN], Gruppe Zunder (Kiel), Rote Hilfe OG Kiel, Soliplenum §129a zusammenfalten (Kiel).