Montag, 1. Oktober 2007

Über den Umgang mit Repression

„Anna und Arthur halten’s Maul!“ und „Solidarität ist eine Waffe!“, klare Sache! Denn wir alle Wissen natürlich Bescheid, wie wir mit Repression umzugehen haben. Welches die sinnvollsten Schritte sind, nachdem ´ne die Vorladung auf dem Tisch liegt und was ein Prozess politisch bedeutet. Alle haben wir immer und überall klar, was wir mit einer Prozessführung bezwecken wollen, welche Ziele wir uns damit setzen. Wir auch! Zumindest solange, bis es tatsächlich mal soweit ist und mensch selber betroffen ist.


Dann wird aus den allseits bekannten Parolen auch schnell mal „Anna und Arthur halten’s Maul – gegenüber den GenossInnen“ oder „Solidarität ist ein Laster“. Schnell sind Gründe dafür gefunden, weshalb der eigene Prozess eine Ausnahme von der gängigen, seit Jahrzehnten diskutierten Praxis linker Prozessführung sein soll und statt einer –vielleicht auch kritischen- Auseinandersetzung mit dieser Praxis, wird der eigene Fall aus Angst vor den „verbohrten“ und „dogmatischen“ GenossInnen und einer Ächtung durch die Szene vertuscht und schöngeredet. So findet die Prozessvorbereitung allein mit dem Anwalt und vielleicht noch mit dem engsten Umfeld statt, es werden klammheimlich Deals mit der Staatsanwaltschaft gemacht, Öffentlichkeitsarbeit findet nicht statt und danach wird, wenn’s hoch kommt, vielleicht noch mal die Hand nach ´nem Solieuro aufgehalten. Aber trotzdem bleibt Solidarität ´ne Waffe und eigentlich halten wir ja auch das Maul.


Für uns hat dieser, in weiten Teilen der Szene gängige Umgang mit Repression, nichts als Verunsicherung, Überforderung und grob fahrlässiges Handeln bedeutet. Auch wir haben die Szene lange im Unklaren über unsere Situation gelassen und haben von der ihr eigentlich nur Ächtung und eben keine Solidarität erwartet. Hinzu kam, dass die Praxis einer kollektiven Prozessvorbereitung in unseren Köpfen verblichen oder uns völlig unbekannt gewesen ist. Auf die Idee, dass mensch sich zu allererst an seine/ihre GenossInnen wenden sollte, sind wir gar nicht erst gekommen. Klar war nur: „Schnauze halten!“ und das allen gegenüber. Der Anwalt wird schon am besten wissen, was zu tun ist. Wir haben seine Aufgaben in der gesamten Beratung und Verteidigung gesehen und nicht erkannt, dass es sich bei der juristischen und der politischen Verteidigung um zwei unterschiedliche Aufgabenfelder handelt. Dass ein Anwalt jedoch eigentlich ausschließlich die erstere leisten kann, war uns schlichtweg unbewusst. Genauso, dass die politische Verteidigung nur durch eine Szene geführt werden kann und muss. Und dass mensch einen auf politischer Ebene sinnvollen Umgang finden muss und das, was dabei durch GenossInnen getragen werden kann, eben nicht allein entschieden werden kann, sondern dies einem kollektiven Entscheidungsprozess entspringen muss, von solchen Gedanken waren wir weit entfernt.


Die einfachste Erklärung für unseren Umgang wäre –na klar- das Verhalten der verbohrten DogmatikerInnen. Leider mussten wir feststellen, dass das Problem vielmehr hausgemacht ist. Statt das Feld von Vorn zu beackern, also uns die Fragen zu stellen „Was bedeutet der Prozess politisch?“, „Was sind unsere Ziele in dem Prozess?“ und „Was können wir leisten?“ und diese mit unseren GenossInnen zu diskutieren, wussten wir sofort –aus dem Bauch heraus- was wir nicht wollen und was wir auf jeden Fall wollen und haben versucht, alles in einen Koffer zu quetschen. Was wir sonst so im politischen Alltag zum Thema Repression von uns geben, war ganz schnell vergessen und Priorität bekam immer mehr, auch durch Kooperation mit denen, die uns den ganzen Ärger einbrocken, unsere Arsch zu retten.

Ernsthaft auf die Waffe der Solidarität zu bauen, wurde umso schneller verworfen. Dass dabei nichts rumkommen kann, ist mit ein bisschen Distanz und genauerer Betrachtung fast schon logisch.


Und trotzdem sind wir leider nicht die einzigen, die zunächst einen solchen Weg beschritten haben. Und Schuld daran sind nicht vordergründig eine besonders repressive Szenestimmung, sondern eine mangelnde Fähigkeit, uns der politischen Diskussion zu stellen. Statt Parolen zu hinterfragen, werden sie übernommen und verkommen erst so zu Dogmen. Und wenn mensch dann wirklich in eine Situation kommt, an den eigenen Parolen gemessen zu werden, wird vor der Auseinandersetzung geflohen. Dabei wäre das schlimmstmögliche Szenario, wenn es nach einer gemeinsamen Auseinandersetzung tatsächlich zu unterschiedlichen Positionen bezüglich der Prozessführung kommen sollte, dass vielleicht einige GenossInnen nicht mehr an der Vorbereitung mitwirken. Und das ist bei politischer Arbeit keine Katastrophe, sondern das wohl natürlichste der Welt.


Denn erst dann, wenn wir Repression tatsächlich wieder versuchen kollektiv zu tragen, wird Solidarität zu einer Waffe, die viel motivierender und wirksamer ist, als das klammheimliche Mauscheln mit dem Staat im stillen Kämmerlein. Und darüber hinaus: Die von Repression direkt Betroffenen haben das Recht darauf, Solidarität zu erfahren genauso wie die GenossInnen das Recht haben, informiert zu werden und in der Verantwortung stehen, Solidarität zu leisten. Zumindest dann, wenn wir eine weitere Parole ernst nehmen: „Angeklagt sind wenige – gemeint sind wir alle!“.


Deshalb lautet unser Fazit aus unseren eigenen Fehlern: Lasst uns Repression kollektiv auffangen, lasst uns (auch richtige) Parolen nicht durch mangelnde Hinterfragung zu Dogmen werden lassen und scheuen wir uns nicht vor der Diskussion!


Denn Solidarität ist eine Waffe!


Antirepressionsgruppe 1. April, August 2007

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