Montag, 7. April 2008

Runde Augengläser, Aufgewärmte und der Linkenhass der Gaardener Polizei

Viertägiger, politischer Prozess gegen Kieler Antifaschisten endet mit Verurteilung:

Staatsanwältin Füssinger geht in Berufung und macht Rückzieher

Am Mittwoch, 21.11.2007 wurde ein Kieler Antifaschist vorm Amtsgericht nach einem viertägigen Prozess wegen der angeblichen gefährlichen Körperverletzung an einem Neonazischläger zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen á 7,50 € (1125 €) verurteilt.

Anlass für den Prozesses war eine Auseinandersetzung zwischen stadtbekannten Neonazis und Antifaschisten am 01.04.2006 vor einem Gaardener Supermarkt. Die Verurteilung stützte sich dabei ausschließlich auf die Zeugenaussage eines bei der Auseinandersetzung anwesenden Begleiters der Neonazis und blendete die politisch motivierten einseitigen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft zur Vorbereitung der Anklage aus.

Begleitet war der Prozess von Anfang bis Ende von einer überwältigenden Beteiligung an den antifaschistischen Solidaritätsaktionen innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals. Zunächst drohte für den Frühsommer 2008 die Neuauflage des Prozesses vorm Landgericht, nachdem die Staatsanwältin Füssinger in Berufung gegangen war. Diese zog sie jedoch im März überraschend zurück, womit das Urteil vom November rechtskräftig geworden ist.

Dies ist eine Zusammenfassung der Ereignisse im Herbst 2007 und davor und der Versuch einer politischen Einschätzung derer.


Der 1. April 2006

Vor über eineinhalb Jahren, am 01.04.2006 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den gleichermaßen für ihre Stumpfheit als auch ihre Brutalität stadtbekannten Nazischlägern Dennis R. und Alexander N., die von einem bis dato nicht als Rechter in Erscheinung getretenen H. begleitet wurden, und einer Gruppe Antifaschisten vor einem Supermarkt in Kiel-Gaarden. Bei dieser Auseinandersetzung wurde nicht nur einer der Antifas durch eine Messerattacke Dennis R.s schwer verletzt, sondern auch die Neonazis kamen nach eigener und polizeilicher Aussage nicht gänzlich unbescholten davon. Als die Polizei am Ort des Geschehens eintraf, fand sie dort zwar nicht einen Antifa, dafür aber die drei zum Teil angeschlagenen Neonazis vor. Obwohl Dennis R. noch sein blutiges Messer in der Hand hielt, war für die PolizeibeamtInnen klar: Hier muss sich ein antifaschistischer Überfall abgespielt haben, gegen den sich die unschuldigen Nazischläger haben verteidigen müssen! Zur Untermauerung dieser Annahme entlockten sie dem etwas widerwilligen Messerstecher eine Personenbeschreibung eines, ihm nach eigenen Angaben lang vorher bekannten linken Aktivisten mit „runden Augengläsern“ und eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung. Damit war der Grundstein für den kommenden staatlichen Angriff auf die Kieler autonome Antifaszene gelegt.


Die Wirkung der Repression

Auch die Kieler Polizei merkt sich natürlich aktive und unbequeme Linke, so dass sie sich die neonazistische Steilvorlage nicht nehmen ließ und sich aus ihrem Repertoire einer passenden Person mit „runden Augengläsern“ bediente, die es würdig war, für ihr politisches Engagement bestraft zu werden. Einen guten Monat später wurde einem linken Aktivisten verdeutlicht, dass er diese Person sein sollte: In den Morgenstunden des 11.05.06 kam es in Gaarden zur polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung und parallel eines PKWs, welcher verdächtigt wurde, als „Fluchtfahrzeug“ genutzt worden zu sein. Ziel dieser Aktion war laut Durchsuchungsbeschluss, vermeintliche, am 1. April zum Einsatz gekommene Tatwerkzeuge wie z.B. Baseballkeulen sicherzustellen. Zu einer solchen Keule wurde, nachdem man nichts Besseres fand, ein kurzer Holzstab umgedeutet und gleich noch die Situation genutzt, einen Computer zu beschlagnahmen. Angeblich in der Hoffnung, hier Aufzeichnungen und persönliche Beziehungen zu finden, die im Zusammenhang mit dem 1. April stehen könnten... Solche Hinweise fanden sich nicht.

Mit ihrem Vorhaben, durch die Repressionsmaßnahmen autonome Antifas einzuschüchtern, trafen die ErmittlerInnen jedoch ins Schwarze: Zwar fanden sich sofort nach der Durchsuchung FreundInnen und enge GenossInnen des Betroffenen zusammen, die die Antirepressionsgruppe 1. April ins Leben riefen, wir waren aber mit der Situation gänzlich überfordert und zunächst nicht in der Lage, auf den staatlichen Angriff zu reagieren. So dauerte es einige Wochen, bis die Hausdurchsuchung überhaupt öffentlich gemacht wurde. Das erste Flugblatt zum Thema ließ sogar ein halbes Jahr auf sich warten. Statt den Kontakt mit kühlköpfigeren GenossInnen zu suchen, schwiegen und vertuschten wir und überlegten stattdessen, wie mit Staatsanwaltschaft und Justiz um Gnade kooperiert werden könnte. Erst nachdem ein Genosse der Staatsanwaltschaft seinen Namen mit der Intention einer Zeugenaussage lieferte und kurz darauf als Beschuldigter zur Vernehmung geladen wurde, begannen wir damit, uns Gedanken über Sinn und Funktion von Repression, das Verhältnis von Antifa zum Staat und die Zielsetzung unserer Prozessführung zu machen. Gleichzeitig wurde versucht, sich mit der Sache an die Szene zu wenden und öffentlicher damit umzugehen. Damit war zwar ein wichtiger Schritt getan, bedeutete allerdings kein Ende der Unsicherheit, der unklaren Zielsetzungen und der Überforderung der Antirepressionsgruppe, die zeitweise bis heute andauerten.


Ziele und Strategie der Prozessführung

In diesem Diskussionsprozess entschieden wir uns von Aussagen jeglicher Art Abstand zu nehmen. Dies begründete sich einerseits aus der Gefahr heraus, statt der erhofften Entlastungen, den Repressionsorganen noch mehr Namen und Baustoff für Konstrukte zu liefern. Andererseits zogen wir aus der Analyse, dass Repressionsmaßnahmen gegen die Linke immer zum Ziel haben, deren Strukturen zu schwächen und zu durchleuchten, den Schluss, dass jede Zusammenarbeit nur deren Sinne entsprechen könne. Aus einer Unsicherheit heraus gemachte Aussagen und die Hoffnung der Betroffenen auf eine „mildere“ Strafe, sind genau die Mechanismen, auf die staatliche Repression abzielt. Wir entschlossen uns stattdessen dazu, fortan keine Angaben mehr zu machen und stattdessen auf größtmöglichen öffentlichen Druck und eine solidarische Bewegung zu setzen.

In den ersten Monaten nach der Hausdurchsuchung zielte unsere Antirepressionsarbeit auf verschiedene, teils emotionale Erfolgswünsche ab: Die Nazis sollten eine juristische Bestrafung bekommen, der Genosse sollte einigermaßen heil aus der Sache rauskommen und öffentlich skandalisiert werden sollte das Ganze auch noch.

Aus der späteren Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Antifa zum Staat ergab sich, dass es keine antifaschistische Perspektive sein kann, auf die Bestrafungssysteme des Staates zu bauen oder ihr gar wirkliche Erfolgsaussichten beizumessen. Zum einen würde die Initiative in nicht mehr zu kontrollierende und linken Interessen entgegengesetzte Hände abgegeben werden, zum anderen ist das staatliche Bestrafungssystem bis zur Konsequenz Knast aus linker Perspektive sehr schwer bis gar nicht zu vertreten[1]. Erst Recht gilt dies für eine Stadt wie Kiel, wo der Spielraum und die Erfolgsaussichten für unabhängige antifaschistische Praxis, z.B. im Vergleich zu einer „National befreiten Zone“ in der tiefsten sächsischen Schweiz, recht hoch sind. Statt des Vertrauens in eine vermeintliche Gerechtigkeit der Justiz, entschlossen wir uns, auf unsere eigene Stärke und die eigenen Mittel im Kampf gegen Nazis zu setzen. Wenn Antifaschismus über bloße Symptombekämpfung hinaus gehen will, muss er sich in letzter Konsequenz auch gegen einen repressiven (und rassistischen National)staat und seine Zwangssysteme richten, die immerhin einen der Nährböden für das Erwachsen faschistischer Schläger bieten. Bei einer Zusammenarbeit von AntifaschistInnen mit dem Staat beißt sich die Katze also auf lange Sicht selbst in den Schwanz.

Ziel der Soliarbeit sollte es nun sein, die antifaschistische Praxis, die am 1. April 2006 von einigen Aktivisten in die Tat umgesetzt wurde, öffentlich so zu benennen und zu verteidigen, die staatlichen Repressionsschläge ebenfalls als solche zu benennen, ihre Ziele offenzulegen und neben andere Fälle einzureihen und schlussendlich dem angeklagten Genossen bestmöglich den Rücken zu stärken. Durch eine Skandalisierung des Prozesses und der Verhältnisse in denen er stattfinden kann, sollte ein öffentlicher Druck zu Gunsten des Angeklagten erzeugt werden.


Der Prozess

Der erste Prozesstag wurde, nachdem im Juni schließlich die Anklage erhoben wurde, im August auf den 19. Oktober 2007 gelegt. Vorgeladen waren neben dem Angeklagten die beiden an der Auseinandersetzung beteiligten Neonazizeugen Dennis R. und Alexander N. und ihr damaliger Begleiter, mehrere PolizeizeugInnen, PassantInnen und eine Angestellte des Supermarktes.

Am ersten Prozesstag wurden, nachdem der Angeklagte eine Prozesserklärung verlas und verkündete, aus politischen Gründen die Aussage zu verweigern, zunächst die Neonazis angehört. Dennis R. bestätigte wiederholt seine Messerattacke gegen einen Antifaschisten am 1. April 2006, konnte ansonsten außer der Benennung des Angeklagten als vermeintlichen Täter, den er an seinen „runden Augengläsern“ erkannt haben wollte, und seiner Version eines Überfalls von angeblich 15 vermummten und bewaffneten Personen, keine ernstzunehmenden Angaben über den Tatverlauf machen und bestritt selbst seine Zugehörigkeit zur Naziszene. Getoppt wurde das Ganze von dem im Anschluss vernommenen Alexander N., der außer der teils wortgetreuen Wiederholung der Überfallgeschichte und der Täteridentifizierung kaum in der Lage war, vollständige Sätze von sich zu geben und neben widersprechenden Angaben zum genauen Tathergang sogar die Vermutung äußerte, Dennis R. hätte vor dem Laden warten wollen, „um sich zu kloppen“.

Bis hierhin schien es selbst der Richterin und der Staatsanwältin unmöglich, die Anklage aufrecht zu erhalten und diese kommunizierten kopfschüttelnd ob der unbrauchbaren Aussagen der Nazis. Gerettet wurde sie durch die Aussage Nr. 3 des Neonazibegleiters, der sich als unbeteiligter neutraler Zeuge gab und die Fragmente seiner beiden Vorgänger in halbwegs klaren Worten zu einer einigermaßen verständlichen Geschichte verschmolz. Um diesen Anker nicht wieder aus der Hand zu geben, ignorierten Exekutive und Judikative die Einwände des Verteidigers, der Zeuge hätte von seinem angegebenen Standort abseits der Auseinandersetzung aus, keinen „Täter“ identifizieren können. Auch die Selbstbezichtigung, sich an jenem Tag im Zustand eines „Aufgewärmten“[2] befunden zu haben, konnte der Richterin keinen Anlass geben, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln.

Nach einer mehr als siebenstündigen Verhandlung wurde der Prozess schließlich auf den 05.11. vertagt. An diesem Tag wurde die Einschätzung von AntifaschistInnen bestätigt, dass das gesamte Ermittlungsverfahren von Anfang an dazu da war, Druck auf die Linke auszuüben und sie auszuschnüffeln: Ein Zeuge, der am 1. April 2006 seinen Einkauf im Supermarkt erledigte, gab an, nichts gesehen und dies auch den eintreffenden BeamtInnen mitgeteilt zu haben. Dennoch war eine falsche Aussage protokolliert, er habe 15 schwarz gekleidete Personen vom Parkplatz rennen sehen. Dies erklärte sich der Zeuge damit, dass er schon damals das Gefühl gehabt habe, die Polizei wolle ihm eine Aussage in den Mund legen...

Beim Verhör verschiedener Ermittlungsbeamter bewahrheitete sich, dass von Anfang an nie in Erwägung gezogen wurde, gegen die Neonazis zu ermitteln. Darüber hinaus wurde eine unsichere Identifizierung als Beweis verwertet und eingestanden, von Anfang an von der Schuld des Angeklagten ausgegangen zu sein, da der ja polizeibekannt sei. Auch dieser Verhandlungstag endete mit einer Vertagung auf den 19.11. .

Der dritte Verhandlungstag zwei Wochen später war neben zwei weiteren ZeugInnenanhörungen geprägt von verschiedenen Anträgen zur Befangenheit der Richterin, zur Unglaubwürdigkeit der Neonazizeugen und zur örtlichen Begebenheit des Tatortes. Diese wurden größtenteils abgelehnt. Der Verteidiger kritisierte daraufhin, das Gericht würde damit verhindern, dass die unvollständigen und einseitigen Ermittlungen gegen Linke in diesem politischen Prozess durch wichtige fehlende Details ergänzt würden. Der Tag endete, mal wieder, mit einer Vertagung.

Am letzten Prozesstag am 21.11. wurde der Genosse schließlich wegen der gefährlichen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt. Staatsanwältin Füssinger hatte vorher eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten auf drei Jahre Bewährung sowie 60 gemeinnützige Arbeitsstunden „zum drüber Nachdenken“ (!) gefordert, der Verteidiger des Angeklagten plädierte natürlich auf Freispruch.

In ihrem Plädoyer machte die Staatsanwältin deutlich, dass sie keine Hinweise auf eine Unglaubwürdigkeit der Darstellung der Neonazizeugen sähe. Außerdem stelle es ihrer Meinung nach keinesfalls eine Bedrohung dar, wenn sich in einer Entfernung von nur fünf Metern, ein bekannter Neonazi mit einem erhobenen Messer auf Antifaschisten zu bewegt. Der Verteidiger kritisierte wiederholt, die Polizei habe von Anfang an ausschließlich gegen Linke ermittelt und damit einen politischen Schauprozess vorbereitet, der von der Staatsanwaltschaft und der Justiz ausgeführt wurde. Die Richterin stützte ihr Urteil weitestgehend auf die Aussage des Begleiters der zwei Neonazis. Deren Aussagen wiederum hielt sie für unglaubwürdig...

Welch ermutigenden Effekt dieser staatliche Freifahrtsschein auf das Handeln der beiden Nazischläger hat, zeigt, dass sowohl R. als auch N. seit dem Prozess durch erneute Belästigungen und Einschüchterungsversuche aufgefallen sind. Besonders bekannt kommt uns ein Fall vor, bei dem Alexander N. mit entsprechenden Begleitern auf dem Kieler Weihnachtsmarkt zunächst versuchte, eine Gruppe nicht-rechter Besucher zu bedrohen und als diese sich davon nicht beeindrucken ließen, die Polizei rief und willkürlich Anzeigen machte. Wiederum laufen nun zwei Ermittlungsverfahren gegen Menschen, die sich dagegen gewehrt haben sollen, Opfer von Nazigewalt zu werden. Ihnen und allen Anderen, die sich dem alltäglichen Naziterror entgegenstellen, gilt unsere Solidarität.


Die Solidarität

Zu den positiven Momenten des Prozesses gehörte die große, kontinuierliche Beteiligung an den zahlreichen öffentlichen Solidaritätsbekundungen. Bereits vor dem ersten Prozesstag fand unter dem Motto „Solidarität mit dem angeklagten Antifaschisten! Der Kampf gegen (Neo)Nazis ist notwendig! Gegen die Kriminalisierung linken Widerstands!“ am 13.10. in der Kieler Innenstadt die „antifaschistische Antirepressionsdemo“ statt. Diese wurde von zwölf Gruppen aus dem linksradikalen Spektrum getragen und vom Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus in Kiel unterstützt. An der Demonstration nahmen über 400 Menschen teil. Sie war damit ein Mut machender Auftakt für die folgenden Wochen.

An allen vier Prozesstagen fanden vor dem Amtsgericht Kundgebungen statt. Am ersten Prozesstag nahmen knapp 200 Menschen an ihr teil. Zudem bewegten sich am zweiten und dritten Prozesstag in aller Frühe jeweils um die 50 Menschen als morgendliche Demo zum Gericht. Auch im Gerichtssaal wurde der angeklagte Genosse nicht allein gelassen: Alle Plätze waren an jedem Prozesstag mit solidarischen GenossInnen und FreundInnen besetzt, die sich auch von den absolut schikanösen Einlasskontrollen inklusive Leibesvisitationen nicht abschrecken ließen. Darüber hinaus gab es weitere kleine Soliaktionen, z.B. Redebeiträge auf Demonstrationen, Solikonzerte oder Flugblattverteilen in der City.

Der gefühlte Höhepunkt der Aktionsreihe war der Tag der Verurteilung selbst, der 21.11. : Unmittelbar nach Urteilsverkündung zogen etwa 70 AntifaschistInnen spontan und lautstark vom Gericht durch die City nach Gaarden. Hier fand Abends dann eine weitere Spontandemo statt: 200 wütende TeilnehmerInnen zogen entschlossen und lautstark, begleitet von vielfältigem Feuerwerk quer durch den Stadtteil. Die Polizei war absolut überrumpelt und traute sich nicht mit ihren vorhandenen Einsatzkräften die Demo zu stoppen oder auch nur zu begleiten. Im Laufe der Nacht wurde die Polizei durch diverse brennende Mülltonnen in Gaarden auf Trab gehalten. Die Aktion wurde von vielen als emotionaler Befreiungsmoment gegen die Repressionsmaschine nach mehreren Kräfte zehrenden, frustigen Wochen empfunden und war somit absolut notwendig und damit ein voller Erfolg.

Abseits der großartigen Soliaktionen auf der Straße wurde die gesamte Kampagne allerdings leider (wie zu oft) nur von sehr wenigen, durch die vielen zu organisierenden Dinge überlasteten AktivistInnen getragen. Auch wenn dies sicherlich in der Mitverantwortung von uns, der Antirepressionsgruppe selbst liegt, wäre eine regere Teilnahme an den Vorbereitungstreffen dringend nötig gewesen. Dies ist ein Versäumnis, welches es bei zukünftigen Prozessen unbedingt zu ändern gilt!


Die Presse

Abgesehen von den unabhängigen lokalen wie überregionalen linken Medien, wo regelmäßig über das Verfahren und den Prozess berichtet wurde, konnte eine Berichterstattung zu diesem Thema ausschließlich von der Lokalpresse erwartet werden, die in Kiel von den Kieler Nachrichten repräsentiert wird. Diese ignorierte zunächst mehrere Pressemitteilungen und sogar die für Kieler Verhältnisse recht große Demo am 13.10. trotz kontinuierlicher Pressearbeit. Nach dem ersten Verhandlungstag fand der Prozess in der KN vom 20.10. erstmals Erwähnung. Bereits in der Überschrift wurde die Vorverurteilung durch den Gerichtsreporter Thomas Geyer deutlich, die durch die Anführungszeichen die Antwort auf die Frage „ „Courage“ oder brutaler Überfall?“ gleich mitlieferte. Während im recht umfangreichen Text verschiedene Positionen, auch die der Antirepressionsgruppe und des Angeklagten, gegenübergestellt wurden, war in der Einleitung die Nazi-Version vom „autonomen Rollkommando“ gleich als wahrer Tathergang übernommen. Dennoch sorgte der halbseitige Artikel für eine verstärkte öffentliche Wahrnehmung des Prozesses in Kiel. Scheinbar passte dies nicht ins politische Interesse der KN (oder wessen auch immer) und aus der nahe liegenden Angst, der/die LeserIn könnte sich durch eigene Gedanken ein anderes Urteil über den Prozess bilden, wurden die nachfolgenden drei Prozesstage samt der Begleitaktionen vollständig verschwiegen. Erst dadurch, dass ein Redakteur des Gaardener Lokalteils über die abendliche Spontandemo nach der Verurteilung berichtete und dabei größtenteils auf das Statement zum Prozessausgang der Antirepressionsgruppe zurückgriff, sah sich Geyer noch mal dazu veranlasst, drei Tage nach dem Urteil, eine bereinigte, justizhörige Sicht zu veröffentlichen. Irgendwem schien es nicht zu passen, wenn der Prozess als „politisch gewollter Schauprozess gegen einen Antifaschisten“ in die Archive eingehen würde. In der Überschrift des erneuten Halbseiters stellt er daher als erwiesen fest: „ „Aktivisten“ nahmen sich Neonazis vor“. Im Folgenden wurde zudem wieder einmal durch stetige Anführungszeichen der politische Anspruch der Antifaschisten infrage gestellt...


Der Wille zählt!

Spätestens mit der Verurteilung wurde klar: Das Ermittlungsverfahren gegen unseren Genossen war von Anfang an darauf ausgelegt, einen polizeibekannten linken Aktivisten zu verurteilen und auf diesem Wege zu versuchen, ihn ruhig zu stellen. Den Grundstein legte die Gaardener Polizei dafür bereits am 1. April 2006. Als sie auf dem Parkplatz die lädierten Neonazis auffand, interessierte sie sich, trotz eindeutiger Beweise wie dem blutigen Messer, nicht dafür einen Sachverhalt aufzuklären oder gar gegen die stadtbekannten Nazis zu ermitteln, sondern entlockte ihnen halbherzige Aussagen über den Tatverlauf und Personenbeschreibungen, die ihr die Möglichkeit gaben, endlich mal wieder gegen die verhasste Gaardener linke Szene vorzugehen. Diese Vorgehensweise ist nicht neu: Schon als es im April 2004 im Stadtteil einen spontanen Aufstand gegen einen NPD-Stand kam, bei dem auch die Polizei alles andere als gut abschnitt, wurden in seiner Folge zwei Antifaschisten unter waghalsigen Konstruktionen verurteilt. Am Abend der Aktion rächte sich die Gaardener Polizei für die Niederlage, indem sie zwei Partys stürmte, auf denen sie Linke vermutete. Genauso kommt es in Gaarden immer wieder zu Schikanen gegen PlaktiererInnen, besonders dann, wenn es sich um politische Plakate handelt. Die Stadtteilpolizei scheint eine große Angst davor zu haben, dass sich das dort vorhandene recht große linkssubversive Potential entlädt oder organisiert, weshalb sie versucht, immer dann wenn es hier mal zu größeren Aktionen kommt, Ermittlungsverfahren gegen vermeintlich Beteiligte loszutreten, seien auch noch so wenig Beweise oder Anhaltspunkte vorhanden. Diese Angst zeigt sich auch darin, dass die Polizei es sich trotz vorhandener Kräfte nicht traute, die Spontandemo nach der Verurteilung aufzuhalten oder zu begleiten, obwohl sie, wenn sie sich nicht einer so großen Stärke gegenübersieht, wegen jeder Kleinigkeit Menschen kontrolliert und belästigt, besonders wenn es sich um Linke handelt.

Zurück: Die Grundlage der Gaardener Ermittlungsbeamten wurde vom Politkommissariat K5 dankend aufgenommen, auch hier war der Angeklagte als langjähriger Querulant bekannt. Ermittelt wurde weiter ausschließlich gegen links: Es kam zur Hausdurchsuchung, den Nazizeugen wurden weitere unkonkrete Aussagen entlockt und zu eindeutigen „Identifizierungen“ weiterer Personen umgemünzt und ihr Tatverlauf komplett übernommen.

Unter diesen Vorraussetzungen eröffnete die Staatsanwaltschaft die Anklage, um das Verfahren mit einer Verurteilung erfolgreich abzuschließen. Der Richterin sollte es einfach gemacht werden, auf dieser zusammenkonstruierten „eindeutigen“ Beweislage der Polizei, dieses Ziel zu vollstrecken. Ihnen kam allerdings die recht große Öffentlichkeit dazwischen, die durch die verschiedenen antifaschistischen Aktionen geschaffen wurde. AntifaschistInnen stellten klar, wer da wofür vor Gericht stand, wer die belastenden Zeugen waren und wie die vorbereitenden polizeilichen Ermittlungen gelaufen sind. Die Konstruktion drohte ins Wanken zu geraten und Staatsanwaltschaft wie Justiz hofften darauf, dass die öffentliche Aufmerksamkeit durch stetiges Vertagen die Puste ausgeht oder sich vielleicht doch noch einE brauchbareR ZeugIn findet. Beides war nicht der Fall.

Dennoch hielt die Staatsanwältin am Verurteilungswillen und an der Geschichte von der klaren Beweislage fest. Alles andere wäre ein Eingeständnis gewesen, dass die vorausgegangenen Ermittlungen einseitig und politisch motiviert, also nichts als ein Mittel zur Bekämpfung der verhassten Gaardener Linke waren.

Das gleiche Problem hatte die Richterin. Auch sie musste sich entscheiden, ob sie sich gegen die Staatsanwaltschaft und die Polizei stellt oder ob sie unter kritischer Beobachtung ein offensichtlich skandalöses Urteil zur Ruhigstellung eines Antifa-Aktivisten spricht. Sie ging einen halbherzigen Weg, indem sie zwar rein juristisch betrachtet ein „mildes“ Urteil verhängte, aber gleichzeitig die Ermittlungen nicht anzweifelte.


Zahnlose Tigerin Füssinger geht in Berufung und knickt ein

Damit war die Richterin den Prozess los, aber weder wir, noch die Staatsanwaltschaft konnte mit diesem Mittelweg leben. Während AntifaschistInnen mit zwei Spontandemos darauf reagierten, ging die Staatsanwältin Füssinger gegen das Urteil in Berufung. Sie visierte scheinbar an, das Ermittlungsziel der Ruhigstellung durch eine möglichst harte Bestrafung des Angeklagten und ein Maximum an abschreckender Wirkung nun in zweiter Instanz vorm Landgericht doch noch zu erreichen. Wir kündigten daraufhin vorsorglich eine erneute Öffentlichkeitsoffensive für den Fall an, dass es tatsächlich zu einer Neuauflage der Verhandlung kommen würde. Im März diesen Jahres zog Füssinger die Berufung, für uns überraschend, nun doch wieder zurück, womit das Urteil vom 21.11.07 rechtskräftig wird.

Welche Rolle dabei die Abwendung von erneutem öffentlichen Druck gespielt hat, kann nur gemutmaßt werden.

Noch kurz zu den Gründen, warum auch wir unsere, aus juristisch-taktischen Gründen eingelegte Revision, zurückgezogen haben. Wir hatten vom Urteilsspruch an aus verschiedenen Gründen kein Interesse an einer Neuverhandlung: Zum einen sehen wir keine juristischen Erfolgschancen vorm Landgericht. Wir sind davon überzeugt, dass sich auch in einer neuen Instanz nichts an dem Verurteilungswillen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts ändern wird, auch der eigenwilligen Interpretation der unveränderten Beweislage stünde hier weiterhin nichts im Wege. Der einzige Erfolg versprechende Grund zur Fortführung des Prozesses wäre es, die geschaffene gute propagandistische Grundlage aus der ersten Instanz zu nutzen, den Prozess weiter politisch zu begleiten und ihn als Instrument der Aufklärung zu begreifen. Dies würde allerdings erfordern, das hohe Level der Öffentlichkeitsarbeit beibehalten zu müssen. Damit wären wir bei unserem Hauptgrund, auf eine Fortführung zu verzichten: Sowohl der Betroffene, als auch seine UnterstützerInnen können dies nicht mehr gewährleisten, wie wir bereits an verschiedenen Stellen zuvor verkündet haben. Mit einer solchen Ausgangssituation ist uns das Risiko einer höheren Verurteilung, weiterer Kosten und erneutem hohen Arbeitsaufwand zu hoch, auch wenn die zurückgezogene Berufung der Staatsanwältin durchaus als eine verlockende Einladung, ihren vorgegeben Ablauf zu stören, interpretiert werden kann. Wir sind aber mit der intensiven Prozessarbeit und einer sehr dünnen Personaldecke an unsere Grenzen gegangen und haben uns sowohl persönlich, als auch unsere politische Arbeit so davon vereinnahmen lassen, dass fast jeglicher Spaß an der Gruppe, permanentem Stress gewichen ist. Da trotz erneuter Aufrufe, sich an der Gruppe zu beteiligen, nur wenige frische AktivistInnen zu uns gestoßen sind, würde sich daran scheinbar auch in Zukunft nichts ändern. Um nicht vollends auszubrennen, haben wir uns deshalb entschlossen, die Antirepressionsgruppe 1. April auf Eis zu legen (und bei einer zu erwartenden Einstellung der beiden noch offenen Verfahren aufzulösen). Stattdessen planen wir, uns der Unterstützung anderer Repressionsbetroffener in Kiel, die es derzeit ja zu genüge gibt und auf deren Treffen es leider nicht viel besser aussieht, zu widmen.


Was bleibt hängen?

Zweifelsohne haben wir in den letzten 1 ¾ Jahren einen Haufen schlechter und guter Erfahrungen gemacht, die wir nun mit in die zweite Runde oder in andere politische Arbeit nehmen werden. Vor vielen Dingen stehen wir wahrscheinlich noch genauso unsicher wie vorher und wir wissen aus eigener Erfahrung, dass Folgendes leichter gesagt als getan ist. Wir wollen trotzdem noch mal allen GenossInnen, die in einer ähnlichen Lage wie wir stecken, ein paar (für viele wahrscheinlich nicht gerade neue aber trotzdem wichtige) Denkanstöße mit auf den Weg geben:

  1. Staatsanwaltschaft, Polizei und Justiz sind für uns keine geeigneten PartnerInnen in der politischen Auseinandersetzung. Dies gilt auch für den Kampf gegen Nazis. Hieraus folgt, wenn irgendwie möglich auf jegliche Aussagen zu verzichten und keinen politischen Nutzen in der juristischen Bestrafung von Nazis zu sehen. Der Staat hat ein machterhaltendes, aber kein antifaschistisches Interesse. Eine emotional erhoffte Repression gegen Nazis kann sich jederzeit genauso gegen uns richten und wird das Naziproblem niemals lösen können.

  1. Eure GenossInnen haben ein Informationsrecht und eine Solidaritätspflicht! Informiert Eure GenossInnen über Repressionsfälle, letztendlich sind tatsächlich alle gemeint und alle können noch getroffen werden. Besteht deshalb auch auf Unterstützung durch die Szene. Verzichtet darauf nicht, nur weil ihr Angst davor habt zu diskutieren oder Fehler oder Unwissenheit einzugestehen. Klar kann das erstmal nervig sein, ist aber absolut notwendig, um zu einer einigermaßen geordneten Prozessführung zu gelangen und schon 1000x gemachte Fehler nicht endlos zu wiederholen. Stellt Euch die Frage nach den Zielen Eurer Soliarbeit und der Prozessführung und werdet Euch klar darüber, was ihr dabei leisten könnt. Seid ehrlich zu Euch selbst, Schönreden und Klugscheißen ist dabei nicht angesagt.

  1. Unterstützt von Repression betroffene GenossInnen! Macht ihnen keine Handlungsvorschriften, aber gebt ihnen Eure Erfahrungen weiter. Versucht Betroffene dazu zu bewegen, sich Unterstützung zu holen und zu einem Treffen einzuladen. Lasst Betroffene nicht mit der Soliarbeit alleine. Das ist unser aller Job, also bringt Euch in die Vorbereitungen ein.

Gelegenheiten, uns in der Antirepressionsarbeit zu üben, hatten und haben wir derzeit ja leider auch in Kiel mehr als genug. Seien es die zwei angeklagten GenossInnen im Castor-Prozess, die vier Kieler Antifaschisten, denen schwerer Landfriedensbruch beim Naziaufmarsch in Jena vorgeworfen wird, die Betroffenen der Pölchow-Ermittlungen, die zwei der Körperverletzung beim Naziaufmarsch in Rostock beschuldigten, die Festgenommenen von der Köpi-Demo in Berlin, der Totalverweigerer Moritz oder die Zeugin im Hamburger/Oldesloer-129a-Verfahren. Die Hetze gegen Autonome nicht zuletzt im Zuge des G8-Gipfels in Heiligendamm scheint seine Früchte zu tragen und die Ankündigung des Staates, hart durchgreifen zu wollen, schlägt sich in einer Flut von derzeitigen Ermittlungsverfahren nieder. Lassen wir uns nicht klein kriegen und die Betroffenen nicht im Regen stehen.

Der Kampf geht weiter!

Antirepressionsgruppe 1. April, April 2008

Spendet für den verurteilten Genossen:


Rote Hilfe e.V.
Kto.: 882 142 07
BLZ: 200 100 20
Postbank Hamburg
Stichwort: 1. April (wichtig!)

Kontakt: antirepression1april@gmx.net



[1] Die Diskussion hierzu ergab bisher keine einheitliche Gruppenposition.

[2] Die Antirepressionsgruppe 1. April interpretiert dies nach ausgiebiger Diskussion als einen vorabendlichen Vollrausch, der durch das Weitersaufen am nächsten Tag wieder „aufgewärmt“, also reaktiviert wird.